Vor ein paar Jahren verbannten wir unseren Fernseher aus unserer Wohnung. Etwas später deaktivierte ich meinen Facebook-Account und hörte auf, Tageszeitungen zu konsumieren.

Echt Wahnsinn, wie viel Zeit plötzlich für sinnvollere Beschäftigungen frei wurde!

Ich begann, wieder mehr zu lesen. Zuerst Romane, dann immer mehr Lektüre, die nicht nur dem Vergnügen diente, sondern mich auch wirklich weiterbrachte und mir half, mich weiterzuentwickeln. Produktivitätsratgeber, Bücher über Finanzen und Wirtschaft oder Publikationen über die menschliche Psychologie.

Ich legte eine Liste an mit den Büchern, die ich lesen wollte, und mit jedem Buch, das ich abhakte, kamen mindestens zwei weitere dazu. Inzwischen ist tägliches Lesen zur Gewohnheit geworden. Mein Jahresziel ist jeweils, 40 Bücher lesen. Bei einer durchschnittlichen Buchlänge von 320 Seiten entspricht dies 35 Seiten pro Tag. Meine tägliche Lesezeit für diese 35 Seiten ist mir mittlerweile heilig – eher würde ich auf eine Mahlzeit verzichten als auf 35 Seiten wertvolles Wissen. Ein guter Freund hilft mir sogar als Accountability-Partner – hake ich an einem Tag in unserem gemeinsamen Google-Sheet das Kontrollkästchen nicht an, das bestätigt, dass ich meine 35 Seiten gelesen habe, erinnert er mich daran, dies nachzuholen.

Seit dem Frühling 2017 habe ich über 110 Bücher gelesen und dabei einen ganzen Stapel Notizbücher gefüllt. Und es ist keineswegs untertrieben, wenn ich behaupte, dass all das Wissen, das ich daraus gewonnen habe, und die Massnahmen, die ich in der Konsequenz schrittweise ergriffen habe, mein Leben ziemlich verändert haben.

Habe ich jeden Tag Lust, zu lesen? Nein. Aber die 30 bis 60 Minuten am Tag ist es mir allemal wert.

Ich weiss nicht, ob ich all die Bücher nach dem Wert, den ich aus ihnen gewann, sortieren könnte. Ich weiss aber sicher, welche zu meinen persönlichen Favoriten gehören.

Fixed oder Growth Mindset?

In diesen Korb der Favoriten gehört ein Buch einer Professorin der Stanford University. Carol Dweck untersuchte, wie wir Menschen über Erfolg denken.

In ihrem Buch «Mindset»1 dokumentiert sie die Ergebnisse ihrer Forschung. Sie beschreibt dabei zwei Denkweisen:

  • Fixed Mindset: Menschen mit einem «Fixed Mindset» vertreten die Meinung, Erfolg beruhe hauptsächlich auf angeborenen Fähigkeiten und Voraussetzungen.
  • Growth Mindset: Menschen mit einem «Growth Mindset» vertreten die Meinung, Erfolg beruhe hauptsächlich auf harter Arbeit, Lernen und Training.

Natürlich gibt es nicht nur schwarz und weiss, sondern viele Abstufungen. Jeder von uns tendiert aber zu einem dieser beiden Mindsets.

Warum ist es relevant, welches Mindset wir angenommen haben?

Nun, ganz einfach: Menschen mit einem Growth Mindset können ihr Potenzial eher entfalten.

Fixed MindsetGrowth Mindset
Führt zu Bedürfnis, schlau zu wirken und deshalb zur Tendenz …Führt zu Bedürfnis, zu lernen und deshalb zur Tendenz …
Herausforderungen
… Herausforderungen zu meiden… Herausforderungen zu begrüssen
Hindernisse
… in die Defensive zu gehen und schnell aufzugeben… sich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen
Effort
… Effort als nutzlos oder schlecht zu betrachten… Effort als Weg zur Meisterschaft zu betrachten
Kritik
… nützliches negatives Feedback zu ignorieren… durch Kritik zu lernen
Erfolg anderer
… sich durch den Erfolg anderer bedroht zu fühlen… im Erfolg anderer Inspiration zu finden
Als Ergebnis erreichen sie früher ein Plateau und schöpfen nicht ihr volles Potenzial aus.Als Ergebnis erreichen sie immer grössere Erfolge.

Als ich mit der Lektüre des Buches begann, wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich stark zu einem Fixed Mindset tendierte.

In der Vergangenheit war ich relativ mühelos durch das Leben gegangen. Gehörte stets zu den guten Schülern, ohne besonders viel Zeit in die Schule zu investieren. Auch bei Freizeitaktivitäten gelang mir das meiste ziemlich gut, worin ich mich versuchte. Scheitern war eher eine Seltenheit.

Aber… ABER! Als ich mir mehr Gedanken darüber machte, wurde mir klar, dass ich mir selber kaum Gelegenheit zum Scheitern gab. Im Grunde ging ich allem aus dem Weg, wenn die Wahrscheinlichkeit des Gelingens nicht von vornherein schon sehr hoch war. Wenn ich mir zutraute, etwas mit meinen aktuellen Fähigkeiten zu meistern, ging ich es an. Wenn sie mir dagegen fehlten, passte ich lieber.

Geriet ich eine Situation, in welcher ich mich hätte blamieren können, weil ich etwas nicht wusste oder konnte, setzte ich meine Energie eher dafür ein, meine Mängel zu vertuschen, statt die Möglichkeit zu nutzen, etwas Neues zu lernen. Hauptsache, niemand bemerkte mein Defizit! Kritik nahm ich oft persönlich und ich mochte es nicht besonders, wenn etwas zu schwierig wurde, und gab schnell auf. Es musste sich entweder natürlich und einfach anfühlen oder es war nichts für mich, dachte ich mir.

All diese kontraproduktiven Reaktionen beruhten darauf, dass ich offensichtlich ein «Fixed Mindset» angenommen hatte. Ich war offenbar der Meinung, meine aktuellen Fähigkeiten und meine Intelligenz seien mehr oder weniger in Stein gemeisselt und dass ich sie nicht grossartig entwickeln könne. Geriet ich an eine Herausforderung, die ich voraussichtlich nicht meistern konnte, musste ich mich schützen.

Nicht, dass ich diese Entscheidung je aktiv getroffen hätte. Diese Einstellung hatte sich über die Jahre entwickelt und ich hatte überhaupt nie darüber nachgedacht. Es war einfach meine natürliche Reaktion in solchen Situationen.

Ständig diese Sorge, dass jemand bemerken könnte, dass man doch nicht so schlau ist, wie man sein möchte! So durchs Leben zu gehen, ist nicht nur stressig, sondern man verpasst auch viele Möglichkeiten, wirklich zu wachsen.

Das wollte ich nicht mehr. Ich wollte mich nicht mehr verstecken müssen, wenn ich etwas nicht wusste oder konnte. Ich wollte Kritik nicht mehr persönlich nehmen. Ich wollte offen und ehrlich zu meinen Schwächen stehen können. Ich wollte mich weiterentwickeln und ich wollte jede Möglichkeit dazu nutzen können. Ich wollte Freude verspüren, wenn etwas schwierig wurde. Ich wollte mich reinbeissen, wenn etwas grösseren Effort erforderte, als ich es bisher gewohnt war. Ich wollte die Zuversicht entwickeln, dass ich auch grundlegende Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften verbessern und verändern konnte, sodass ich mich künftig Herausforderungen entspannt stellen konnte – Herausforderungen sollten Herausforderungen sein und keine Bedrohungen mehr.

Der Fall war also klar! Ich musste mein einengendes Fixed Mindset loswerden und ein Growth Mindset annehmen.

Die Wiedergeburt des „Selberli“

Als ich noch ein kleiner Junge war, gaben mir meine Eltern den Spitznamen „Selberli“. Weil ich offenbar oft, wenn sie mir bei irgendetwas helfen wollten – sei es beim Fahrradfahren ohne Stützräder oder beim Besteigen des Rückens eines Elefanten, mit einem schroffen “selber!” antwortete und mich aus der helfenden Hand befreite.

Als kleine Kinder lieber wir Herausforderungen. Wir fallen tausendmal auf die Schnauze und stehen jedes Mal wieder auf. Wenn wir älter werden, werden leider viele von uns Gefangene ihrer eigenen Komfortzone. Viele von uns rutschen in ein Fixed Mindset wie ich.

Kaum ein Buch hat mir das so klar aufgezeigt, wie «Mindset» von Carol Dweck. Wissenschaftlich untermauert und mit vielen Ratschlägen, wie ich mein eigenes Mindset entwickeln kann und wie man andere Menschen durch die Art, wie wir sie loben oder kritisieren, in ein Growth Mindset lenken können.

Mein Entschluss, noch bevor ich das Buch zu Ende las, war klar: Es war allerhöchste Zeit, dass „Selberli“ wieder zurückkehrt!

Seit ich das Buch las, gebe ich mir doppelt Mühe, mich neuen Herausforderungen zu stellen und nicht immer auf Sicherheit zu spielen.

“Nene, lass mal”, winkte ich früher ab, wenn mich jemand fragte, ob ich mich auch mal an etwas versuchen wolle, das ich noch nicht beherrschte. Früher fragte ich nicht nach, was jemand genau meinte, wenn ich etwas nicht verstand, das er sagte. Könnte ja peinlich werden.

Heute frage ich “Das ist ja cool! Darf ich auch mal versuchen?” Heute spitze ich gerne die Ohren und schäme mich nicht mehr, etwas nicht schon zu wissen, sondern freue mich, etwas Neues lernen zu können.

Heute freue mich, wenn etwas schwierig wird, statt sofort aufzugeben.

Es ist aber auch heute noch nicht einfach. „Selberli“ ist noch nicht vollständig zurückgekehrt und ich muss ihn auch oft aus seiner dunklen Ecke treiben, wo er sich zu verstecken versucht. Aber ein Tag, an welchem ich nicht etwas Neues gelernt oder nicht wenigstens einen Fuss aus meiner Komfortzone gestreckt habe, ist ein verlorener Tag.

Was ist mit dir? Tendierst auch du eher zu einem Fixed Mindset? Kannst du erkennen, warum es sich lohnen könnte, ein Growth Mindset zu entwickeln?

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