Unser Plan, am dritten und vierten Januar auf dem Schienenweg nach Madrid zu gelangen, um von dort aus nach Ecuador zu fliegen, wurde durch die Streiks in Frankreich akut gefährdet. Weniger als die Hälfte der geplanten Züge fuhren. Täglich, wenn nicht stündlich, haben wir die Fahrpläne gecheckt, die sich immer wieder änderten. Das Versprechen der französischen Bahn, jeweils zwei Tage im Voraus die gültigen Fahrpläne zu publizieren, wurde kaum eingehalten.

So mussten wir sogar eine Stunde vor der Abreise unsere Fahrkarten nach Narbonne noch einmal umbuchen, weil ein Teilstück unserer Verbindung doch noch gestrichen wurde!

Kleine Randnotiz:
Mit „wir“ meine ich eigentlich nicht Anika und mich, sondern hauptsächlich meine Mutter. Da sie Inhaberin eines Reisebüros ist, das sich auf Bahnreisen spezialisiert hat, wurden wir sozusagen rund um die Uhr optimal betreut.
„Erstaunlich, dass ihr bei diesem Hin und Her so entspannt bleiben könnt“, meinte sie. Ist ja klar, konnten wir entspannt sein! Wenn mein Mami etwas in die Hand nimmt, funktioniert es ja auch. Danke Mami!

So machten wir uns am Morgen des vierten Januars mit unseren frisch gebuchten Fahrkarten auf den Weg zum Bahnhof. Meine Eltern und sogar meine jüngere Schwester und ihr Freund begleiteten uns zum Bahnhof, um uns zu verabschieden.

Es war schon ein spezielles Gefühl, in den Zug zu steigen, ohne zu wissen, wann wir das nächste Mal in der Schweiz sein würden. Und auch ein paar Tränchen kullerten.

Die guten Gefühle überwogen aber trotzdem. Als wir nach unserer Australienreise unsere neuen Arbeitsstellen in der Schweiz antraten, drängte sich das Arbeitsleben Woche für Woche wieder mehr in den Mittelpunkt unseres Lebens. Die Zeit für uns selber und für uns als Paar wurde wieder knapp. Aber nicht nur die Zeit wurde knapper, sondern auch die Energiespeicher waren ziemlich leer, wenn wir von der Arbeit nach Hause kamen. Selbstverständlich ist es in Ordnung, wenn uns unsere Arbeit mental und körperlich fordert – aber dass uns jede Woche nur ein kleiner Bruchteil unserer Zeit und Energie für unsere eigenen Prioritäten zur Verfügung stand, passte uns nicht wirklich. Wir mochten beide unsere Jobs, aber das Verhältnis stimmte nicht. Anika hatte abwechselnd Früh- und Spätschichten und während ihrer Spätschicht-Wochen sahen wir uns sogar die ganze Woche überhaupt nicht – wenn ich morgens aus dem Haus ging, schlief sie noch, und wenn sie abends nach Hause kam, war ich bereits im Bett.

Unsere Wohnung hätte auch genügend Platz für ein drittes Familienmitglied geboten. Bei diesen Tages- und Wochenabläufen ein Kind zu bekommen, konnten wir uns allerdings immer weniger vorstellen. Selbst wenn ich auf ein Teilzeitpensum reduziert hätte, hätte dies nicht viel geändert.

Ausserdem mögen wir es, wenn nicht so klar ist, wie die nächsten paar Jahre unseres Lebens genau verlaufen werden. Das Leben, das sich jetzt anbahnte, sah jedoch plötzlich viel zu routiniert aus. Nicht, dass wir komplett unzufrieden gewesen wären, aber unter dem Strich hatten wir einfach das Gefühl, unser ganzes Leben zu verpassen, wenn wir so weitermachten. Es musste sich etwas ändern. Und zwar grundlegend.

Wir mussten wieder mehr Selbstbestimmtheit erlangen und gleichzeitig unser Leben wieder aus den Schienen der langweiligen Routine heben.

Der Preis dafür waren die feuchten Augen beim Abschied. Dafür wird das Wiedersehen aber umso schöner werden! Auch Samy Deluxe weiss schliesslich:
«Es heisst, ohne Regen würde man die Sonne nicht schätzen.
Das heisst, gäb es kein Salat würden Pommes nicht schmecken.»1

Aber genug des „Gschpürsch-mi, fühlsch mi“-Geschwätzes und zurück zu unserem Eisenbahn-Plausch!

Wie gesagt machten wir uns am vierten Januar mit frisch umgebuchten Fahrkarten auf den Weg. Der Plan war, über Lyon nach Narbonne zu fahren und dort zu übernachten. Hierfür mussten wir in Zürich, Genf, Lyon und Nîmes umsteigen und wir würden etwas mehr als elf Stunden unterwegs sein. Die Umsteigezeiten waren teilweise relativ knapp bemessen und wenn wir einen unserer Anschlusszüge verpassen würden, müssten wir wieder komplett neu planen, weil so wenige Züge fuhren.

Ganz so sicher, wie gut das alles klappen würde, waren wir deshalb nicht! Da wir mit dem Zug statt dem Flugzeug nach Madrid rund eine halbe Tonne weniger CO2-eq. verursachen, war es jedoch allemal einen Versuch wert. Also hiess es: „Let’s go!“

Ab Zürich stieg meine ältere Schwester noch zu und begleitete uns bis Yverdon – und schon kurz darauf trafen wir in Genf ein. So weit, so gut – aber jetzt beginnt französisches Streikgebiet! Wird unser Plan funktionieren oder bleiben wir vielleicht sogar schon in Genf stecken?

In Genf hatten wir etwas mehr Zeit zum Umsteigen, wollten uns aber trotzdem schon frühzeitig zum richtigen Gleis begeben. Wir wussten ja nicht, wer neben uns nachmittags um drei auch den Zug nach Lyon nehmen wollte. Schliesslich war es an diesem Tag der erste Zug nach Lyon seit sieben Uhr! Wir schlenderten also durch die Unterführung zum neuen Gleis – da traf uns fast der Schlag! Schon in der Unterführung, noch eine Stunde vor der Abfahrt des Zuges, standen die Menschen Schlange, um zum Gleis zu gelangen, von welchem der Zug nach Lyon fahren würde! Und die Schlange wurde minütlich länger und länger. Oje oje, ohne Sitzplatz nach Lyon zu fahren, wäre ja schon unangenehm genug – aber werden wir überhaupt noch in den Zug passen oder ist er zu voll?

Genau eine halbe Stunde vor Abfahrt setzte sich die Schlange plötzlich in Bewegung. Nach ein paar Metern erkannten wir auch, dass die Schlange gar nicht so lang war und weder Perron noch Zug überfüllt waren. Bloss der Zoll hatte in der Unterführung seine Türen noch bis 30 Minuten vor Abfahrt des Zuges geschlossen! Haha. Wieder einmal wegen nichts Sorgen gemacht.

Die Fahrt nach Lyon und auch die anschliessende Fahrt nach Narbonne verliefen dann ziemlich ereignislos und nach Plan. Etwa gegen zehn Uhr checkten wir in Narbonne in einem kleinen Hotel in Bahnhofsnähe ein, das wir vorsorglich erst im letzten Zug zwischen Nîmes und Narbonne buchten, als wir sicher waren, dass wir Narbonne auch an diesem Tag erreichen würden.

In Narbonne angekommen, wähnten wir uns schon fast sicher in Madrid. Schliesslich waren wir jetzt nur noch achtzig Kilometer von der spanischen Grenze entfernt und es standen keine weiteren Fahrten mit französischen Zügen auf unserem Plan. Am nächsten Tag sollte uns ein spanischer Hochgeschwindigkeitszug von Narbonne direkt nach Madrid bringen.

Bevor wir am nächsten Morgen zum Bahnhof aufbrachen, machten wir einen kleinen Spaziergang durch Narbonne, um etwas Proviant für die Fahrt zu besorgen.

Wäre aber doch zu einfach gewesen, hätte alles nahtlos geklappt. Welche Überraschung uns am Bahnhof erwartete, erfährst du im nächsten Artikel.

1 Salat finden wir zwar mindestens gleich lecker wie Pommes, aber du verstehst, was wir meinen!