In drei Tagen startet unsere Reise nach Ecuador. Wir fliegen aus der Schweiz über Madrid nach Quito – einen Direktflug gibt es nicht. Um unsere CO2-Bilanz ein kleines bisschen weniger zu belasten, haben wir beschlossen, den Kurzstreckenflug nach Madrid zu vermeiden. Dieser wäre mit 220 CO2-Äquivalenten pro Personenkilometer fast doppelt so schädlich wie der Langstreckenflug von Madrid nach Quito (127 CO2-eq.). Statt per Flieger nach Madrid, wollten wir also am 3. Januar in den Zug steigen und die rund 1’600 Kilometer auf der Schiene hinter uns bringen.

Jetzt scheint aber bereits die erste Etappe unserer Reise ein Abenteuer zu werden! Eigentlich hätten wir ja ein eher langweiliges Unterfangen erwartet.

Warum?

Seit fast einem Monat fährt in Frankreich fast kein Zug mehr. Auch wenn sich die Situation in den letzten Tagen etwas gebessert hat, wissen wir noch nicht, ob wir wie geplant mit dem Zug nach Madrid fahren können.

Der Grund für den fast kompletten Stillstand ist ein branchenübergreifender Streik, weil die Franzosen mit der geplanten Rentenreform ihrer Regierung nicht einverstanden sind. Der Streik dauert nun schon länger als der letzte grosse Protest von 1995, als Frankreich für 22 Tage lahmgelegt wurde. Auch damals ging es um eine geplante Rentenreform, die schlussendlich nicht durchgesetzt werden konnte.

Die aktuell vorgeschlagene Reform kenne ich nicht im Detail. Das grosse Problem scheint aber eine Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu sein. Die Reform betrifft nur, wer heute weniger als 44 Jahre alt ist.

Obwohl die Mehrheit der Franzosen eine Reform für notwendig hält, stellen sie sich wieder quer. Wie sie das Defizit in der Rentenkasse ausgleichen wollen, wenn nicht über Erhöhungen des Rentenalters oder Kürzungen der Renten, weiss ich nicht.

Ob sie eine gute Idee haben, weiss ich auch nicht. Ich denke aber, sie setzen sich einfach mit verschränkten Armen auf den Boden und rühren sich nicht – wie ein bockiges Kind.

Wie man vielleicht erkennt, halte ich nichts von solchen Protesten und der vorherrschenden Opfermentalität.

Wie wäre es stattdessen, sein Leben einfach selber in die Hand zu nehmen?

Nehmen wir als Beispiel den fiktiven Pierre:

Pierre ist heute 44 und möchte auch nach der Reform mit 62 statt mit 64 Jahren in Rente gehen. Gehen wir davon aus, dass er aktuell sein komplettes Gehalt verprasst und heute keine Ersparnisse hat. Keine ideale Ausgangslage, aber trotzdem hat er noch 18 Jahre Zeit, sich zwei Jahresgehälter anzusparen, um ab 62 zwei Jahre zu überbrücken, bis er mit 64 seine Rente erhält!

Lasst uns also rasch ein bisschen rechnen. Denn Rechnen macht Spass und die Zahlen weisen uns den Weg zu Freiheit und Glück! Hossa!

Wie viel muss Pierre denn sparen? Nun, er hat 18 Jahre Zeit um sich 2 Jahresgehälter anzusparen. Er muss also ab jetzt jeden Monat etwa 11.11 Prozent seines Gehalts sparen (2 geteilt durch 18). Hat er beispielsweise ein Monatsgehalt von 2’000 Euro, braucht er total 48’000 Euro. 11.11 Prozent von 2’000 Euro entsprechen einer monatlichen Sparrate von 222.20 Euro. Dies multipliziert mit 18 x 12 Monaten ergibt 47’995.20 Euro. Tadaa!

Aber halt! Wir legen diese 222.20 Euro ja nicht jeden Monat auf ein Bankkonto ohne Zins! Wir wollen nicht, dass die Inflation fast zwei Jahrzehnte lang unser Geld anknabbert.

Stattdessen wählen wir ein globales Aktienportfolio mit einer Rendite von etwa 5 Prozent nach Inflation. Durch den Anlagehorizont von 18 Jahren kann hier der Zinseszinseffekt seine Magie entfalten und die benötigte monatliche Sparquote wird deutlich tiefer ausfallen als 11.11 Prozent.

Um die monatliche Sparquote bei einer jährlichen Rendite von 5 Prozent zu berechnen, verwenden wir die folgende Formel:

Die Variablen:

  • R steht für die monatliche Sparquote
  • K für das Zielkapital in Monaten (also 24, da Pierre das Gehalt von zwei Jahren ansparen möchte)
  • q für den monatlichen Zinsfaktor (bei einer jährlichen Rendite von 5 Prozent entspricht dies )
  • n für die Anzahl Monate (18 Jahre mal 12 Monate = 216).

Pierre muss folglich nur noch 6.9 Prozent seines Gehalts sparen, damit er zwei Jahre früher in Rente gehen kann, als es die Reform vorsieht. Hat er ein durchschnittliches Nettogehalt von 2’000 Euro monatlich, legt er davon ab jetzt 138 Euro zur Seite. Nach 18 Jahren wird er 24 Monatslöhne, also 48’000 Euro angespart haben. Mit diesen 48’000 Euro kann er im Alter von 62 Jahren dann aufhören zu arbeiten und die zwei Jahre überbrücken, bis er mit 64 Jahren die staatliche Rente bezieht.

Da Pierre bis jetzt noch überhaupt nichts gespart und bisher jeden Monat die ganzen 2’000 Euro verprasst hat, wird es ein Leichtes sein, ein paar Dinge zu finden, die er einsparen kann. Vielleicht wechselt er ein paar alte Versicherungen oder Mobile-Abonnements, bestellt ein paar Zeitschriften ab, die er schon lange nicht mehr liest, oder kocht etwas öfter mit frischen Zutaten zu Hause, statt ins Restaurant zu gehen.

Ist ja gar nicht so schlimm. Und aus meiner Sicht sicher kein Grund, rumzuzicken und aus Protest seine Arbeit für einen Monat niederzulegen!

Und vergessen wir nicht: Pierre ist der Worst Case! Er ist jetzt 44 Jahre alt und gibt jeweils praktisch sein komplettes monatliche Gehalt aus.

Schauen wir uns noch kurz die fiktive Camille an:

Camille ist heute 30. Auch sie möchte mit 62 in Rente gehen statt mit 64. Auch sie verdient 2’000 Euro netto monatlich, sie gibt aber im Gegensatz zu Pierre nur 1’600 Euro pro Monat aus.

Somit muss sie nur 24 mal 1’600 Euro, also 38’400 Euro, ansparen, um die zwei Jahre ab 62 zu überbrücken. Und sie hat nicht nur 216 Monate dafür Zeit, sondern 384 (32 Jahre).

Die monatliche Sparrate von Worst-Case-Pierre hat sich bei Camille also auf nur 41 Euro reduziert (oder 2 Prozent ihres Einkommens, statt 6.9 Prozent wie bei Pierre). Sie muss lediglich ihre aktuelle Sparrate von 400 Euro auf 441 Euro aufstocken, damit sie zwei Jahre früher aufhören kann zu arbeiten. Da sie im Gegensatz zu Pierre bereits etwas verantwortungsvoller mit ihrem Geld umgeht, wird es für sie kein Problem sein, ihr Leben noch etwas effizienter zu gestalten, damit sie künftig 41 Euro weniger ausgeben muss.1

Also gibt es auch bei Camille nicht wirklich einen Grund, einen Monat (oder länger) zu streiken!

„Klar, ihr kommt aus der Schweiz und verdient Geld wie Heu!“, mag der gute Pierre vielleicht reklamieren. „Für euch ist es kein Problem, selber Geld fürs Alter beiseite zu legen!“
Stimmt. Die Kaufkraft ist fast nirgends so hoch wie bei uns. In kaum einem anderen Land auf der Welt bleibt nach Abzug der lebensnotwendigen Kosten so viel des Einkommens übrig wie bei uns.

Aber auch die Kaufkraft der Franzosen liegt immerhin 40 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Sie ist nur unwesentlich tiefer als die Kaufkraft in Deutschland und ich weiss von einigen Deutschen, die ziemlich mühelos Sparquoten von 70 Prozent und mehr erreichen. Da dürften also auch bei den Franzosen selbst bei unterdurchschnittlichen Gehältern Sparquoten von 2.0 bis 6.9 Prozent möglich sein.

Übrigens: Natürlich müssen Pierre und Camille das alles auch nicht von Hand ausrechnen, sondern können einfach einen der online verfügbaren Spar- und Zinsrechner verwenden.

Camilles berechnete Sparrate in einem Online Rechner

Alle verlieren

Bei so einem Streik kann es nur Verlierer geben. Selbst wenn die französische Regierung die Reform „nachbessert“, kann der Streik die Nachteile nicht wert sein.

Zum einen ist da der psychische Stress, den sich die Streikenden selber auferlegen. Ein Monat ohne Arbeit bringt manch einen von ihnen in finanzielle Bedrängnis. Das schlägt aufs Gemüt. Ebenso schlägt es aufs Gemüt und die Gesundheit, sich monatelang über eine solche Reform zu ärgern.

Hätten Pierre und Camille dagegen in ein paar Stunden obige Rechnung gemacht und einen Dauerauftrag für die Sparrate eingerichtet, würden sie nach zwei Monaten nicht einmal mehr merken, dass sie jetzt 138 beziehungsweise 41 Euro weniger zur Verfügung haben. Voilà, Problem gelöst und das Leben kann weiter gehen!

Zum anderen wird sich das Defizit in der Rentenkasse nicht einfach in Luft auflösen, auch wenn die französische Regierung erneut zurückkrebst. Es wird keine ehrenvolle Errungenschaft sein, wenn die Reform nicht durchgesetzt wird, und es werden keine Medaillen verteilt werden. Im Gegenteil – Pierre wird sich in 30 Jahren bei seinen Enkeln entschuldigen können, da diese überhaupt keine Rente mehr bekommen werden oder enorme Beiträge leisten müssen, weil das Defizit nur grösser wurde.

Auch leidet die ganze Tourismusbranche enorm unter dem Rückgang an Besuchern und unserer Erde tut es nicht gut, wenn jetzt wieder alle ins Auto oder sogar ins Flugzeug steigen, weil keine Züge fahren.

Situation in der Schweiz

Wie ist es um die AHV in der Schweiz bestellt? Die AHV gibt es nun seit 1948 und seit Tag 1 beträgt das Rentenalter für Männer 65 Jahre. Auch das Rentenalter für Frauen war initial 65 Jahre, bevor es 1964 auf 62 gesenkt und bis 2005 wieder schrittweise auf 64 Jahre angehoben wurde.

1948 bei der Gründung der AHV konnten Männer mit einer Lebenserwartung von 65 Jahren rechnen und Frauen mit 69 Jahren. Es gab damals also sozusagen keinen Ruhestand. Heute liegt die Lebenserwartung für Männer bereits bei 82 Jahren und bei Frauen bei 86 Jahren, ohne dass das Rentenalter je angehoben wurde!

Man muss kein Raketeningenieur sein, um zu erkennen, dass diese Entwicklung auch bei uns zu Problemen führen wird. Irgendwann muss das Rentenalter angehoben werden. Oder es müssen die Renten gekürzt oder die Beiträge erhöht werden. Oder eine Kombination von allem.

Wie wird deine Reaktion auf eine Rentenreform in der Schweiz sein?

Bist du bereit, länger als bis 65 beziehungsweise 64 zu arbeiten? Bist du bereit, tiefere Renten als es das aktuelle System vorsieht, zu erhalten? Bist du bereit, höhere Lohnbeiträge zu leisten?

Wir für unseren Teil kalkulieren in unserem finanziellen Masterplan komplett ohne eine staatliche Rente. Natürlich haben wir die letzten elf Jahre in die AHV eingezahlt und würden sicher schon mal eine kleine Rente bekommen. Diese betrachten wir aber nur als Bonus. Wir wissen auch nicht, ob wir weiterhin in die AHV einzahlen werden. Das hängt auch davon ab, wo wir uns künftig niederlassen.2

Eine Erhöhung des Rentenalters würde uns also völlig kalt lassen. Was ist mir dir? Wärst du bockig wie ein kleines Kind? Oder würdest du deine Finanzen selber in die Hand nehmen, statt dich nur blind auf Vater Staat zu verlassen?

Wie sich auch immer sich die Renten der Schweizer und Franzosen entwicklen: wir sind sehr gespannt, ob unser Zug am 3. und 4. Januar fährt oder nicht.

Bis dahin wünschen wir die einen guten Start ins neue Jahr! Mögen alle deine Wünsche in Erfüllung gehen. Vergiss aber nicht, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass sie in Erfüllung gehen, wenn du die Dinge auch wirklich in die Hand nimmst und die Verantwortung nicht anderen zuschiebst!

1 Damit nach den 18 beziehungsweise 32 Jahren sowohl Pierre als auch Camille wirklich den Betrag gespart haben, den sie in den zwei Jahren benötigen, sollten sie ihre Sparrate jährlich um die Inflation erhöhen. Betrug die Inflation im ersten Jahr beispielsweise 2 Prozent, so sollte Pierre die Sparrate im zweiten Jahr von 138 Euro auf 140.76 Euro und Camille von 41 Euro auf 41.82 Euro erhöhen. Die erwartete Rendite von 5 Prozent wurde bereits um die Inflation bereinigt (vor Inflation könnte man eher mit 7 Prozent Rendite rechnen). So werden beide im Alter von 62 Jahren nominal einen höheren Betrag angespart haben, der aber der gleichen Kaufkraft entsprechen wird wie zwei heutige Jahresgehälter.
Bei Camille wird bei einer durchschnittlichen jährlichen Inflation von 2 Prozent der Kontostand zum Beispiel am Schluss etwa 72’000 Euro anzeigen. Dieser Betrag wird aber die gleiche Kaufkraft haben wie heutige 38’400 Euro.

2 Unser Kapital aus der beruflichen Vorsorge werden wir aber irgendwann einkalkulieren. Im Moment aber noch nicht, da wir noch keinen Zugriff darauf haben. Wir würden, wenn es dann soweit ist, aber nicht mit einem Umwandlungssatz von 6.8 oder 6.4 Prozent rechnen, sondern eher mit 4 Prozent.